
„Es lässt sich schwer feststellen, ob die Welt,in der wir leben, real oder ein Traum ist.“
Mit diesem Satz endet BIN JIP abrupt. Eine ziemlich existentielle Frage, die der Film da aufzuwerfen scheint: Gibt es eine unabhängige Realität oder nur unsere Vorstellung? Und eine Frage mit der das Medium Film besonders gerne spielt. Denn im Gegensatz zur Literatur müssen wir im Film immer von äußeren Handlungen auf das Innenleben von Figuren schließen. Jetzt kann es aber sein, dass das, was wir als objektive Realität im Film sehen, eigentlich nur die ganz spezielle Vorstellung einer der Figuren ist. Manchmal wird das im Film klar gemacht, manchmal können wir nach dem Kinobesuch darüber streiten, ob wir von außen auf Figuren geschaut haben, oder ob wir uns die ganze Zeit in ihrem Kopf befunden haben. Diese Diskussion könnte man nach BIN JIP auf jeden Fall auch führen. Ich möchte hier aber eine etwas andere Rezeption vorschlagen, die für mich die Essenz dieses Filmes ausmacht. BIN JIP bedeutet Leeres Haus. Das klingt nach Märchen und Horrorfilm, nach Geistern und unheimlichen Wesen. Und tatsächlich: Die leeren Häuser in BIN JIP sind gar nicht so leer...
Doch entgegen der Konvention ist derjenige, der sie bewohnt nicht unheimlich, sondern eher ein mysteriöser Underdog. Er ist nicht der Antagonist, sondern der Protagonist, mit dem wir zusammen in Villen, Lofts und winzige Apartments einbrechen. Wir sind sein partner in crime. Wobei man über „crime“ diskutieren muss. Denn der junge Vagabund, Tae-suk, bricht nicht ein, um zu klauen oder randalieren, sondern um Heinzelmännchen zu spielen. Er wäscht die schmutzige Wäsche der eigentlichen Bewohner, repariert ihre Alltagsgegenstände und verschwindet sang- und klanglos sobald sich deren Rückkehr ankündigt. Dabei ist Tae-suk so leichtfüßig wie ein Ninja, scheu und schlau wie ein Fuchs. Er erinnert mich an einen kleinen Einsiedlerkrebs der immer wieder in eine neue, leere Behausung schlüpft, sie für eine kurze Zeit ausprobiert und dann weiterzieht. Er hat einfach keine Lust zu besitzen und sich niederzulassen. Visuell wird das ziemlich interessant erzählt: Als einmal eine Familie überraschend in ihre Wohnung zurückkehrt, sehen wir, dass Taesuk sich gerade noch darin aufhält. Er ist ins Wäsche waschen vertieft. Die Familie sperrt ihre Haustür auf und betritt die Wohnung. Ich war mir sicher, dass er nun entdeckt wird oder sich im besten Fall irgendwo versteckt hat. Aber anstatt uns zu erzählen, wo Tae-suk sich befindet, kümmert sich der Film nicht weiter um ihn. Er bleibt bei der zurückkehrenden Familie und erzählt uns, wie lieblos die Eheleute miteinander umgehen. Erst viele Einstellungen später sehen wir, von einem Fenster der Wohnung aus, dass Tae-Suk mit seinem
Motorrad wegfährt. Er hat die Wohnung verlassen, ohne dass wir es gesehen haben. Wann er wo genau war, überlässt der Film unserer Vorstellung. Es geht hier um einen Zustand des Dazwischen, des Unbestimmten und der Leichtigkeit, bevor sich etwas festgesetzt und materialisiert hat. Tae-suk wird im Laufe des Filmes auf ein anderes geisterhaftes Wesen treffen: Sun-hwa. Und die Beziehung dieser beiden ist eine weitere Besonderheit von BIN JIP: Tae-Suk und Sun-hwa werden den ganzen Film lang kein Wort wechseln. Ihre Kommunikation funktioniert über fliegende Golfbälle, das Aufheulen eines Motorrads, Blicke, Musik und Berührungen. So wird uns das Entstehen ihrer Liebe in einer Art und Weise erzählt, wie es nur Film kann: durch die schwindende Entfernung ihrer Körper.
Motorrad wegfährt. Er hat die Wohnung verlassen, ohne dass wir es gesehen haben. Wann er wo genau war, überlässt der Film unserer Vorstellung. Es geht hier um einen Zustand des Dazwischen, des Unbestimmten und der Leichtigkeit, bevor sich etwas festgesetzt und materialisiert hat. Tae-suk wird im Laufe des Filmes auf ein anderes geisterhaftes Wesen treffen: Sun-hwa. Und die Beziehung dieser beiden ist eine weitere Besonderheit von BIN JIP: Tae-Suk und Sun-hwa werden den ganzen Film lang kein Wort wechseln. Ihre Kommunikation funktioniert über fliegende Golfbälle, das Aufheulen eines Motorrads, Blicke, Musik und Berührungen. So wird uns das Entstehen ihrer Liebe in einer Art und Weise erzählt, wie es nur Film kann: durch die schwindende Entfernung ihrer Körper.
BIN JIP hat mich sehr an SHOPLIFTERS von Hirokazu Koreeda erinnert. Dieser handelt von einer Familie, in der sich die Mitglieder gegenseitig ausgesucht haben. Sie beruht nicht auf Tradition oder Dokumenten, sondern
einer stark empfundenen Zugehörigkeit. Wie in SHOPLIFTERS wird auch in BIN JIP die Verbindung von Tae-suk und Sun-wha gewaltsam auseinandergerissen, da Sun-hwa auf dem Papier mit jemand anderen verheiratet ist und Tae-suks Einbrüche als kriminelle Taten gewertet werden. Durch den Film haben wir erlebt, wie besonders und liebevoll die Beziehung der beiden und wie unkonventionell, aber harmlos und letztendlich sozial ihre Lebensweise ist. Doch die Art und Weise, in der Tae-suk und Sun-hwa gelebt haben, bedroht die Konventionen eines Systems, das die Idee des Besitzens in ihren Mittelpunkt gestellt hat. Um ihm gerecht zu werden müssten die Machthabenden ihr moralisches System überdenken, Klischees hinter sich lassen, Neues integrieren und sich Fehler eingestehen. So sehr diese daran scheitern, so sehr gelingt es dem Film auf meisterhafte Weise. Er changiert nahtlos zwischen verschiedensten Genre: Er ist Geistergeschichte, Thriller, Fantasy, Crime, Drama und Liebesgeschichte in einem.
einer stark empfundenen Zugehörigkeit. Wie in SHOPLIFTERS wird auch in BIN JIP die Verbindung von Tae-suk und Sun-wha gewaltsam auseinandergerissen, da Sun-hwa auf dem Papier mit jemand anderen verheiratet ist und Tae-suks Einbrüche als kriminelle Taten gewertet werden. Durch den Film haben wir erlebt, wie besonders und liebevoll die Beziehung der beiden und wie unkonventionell, aber harmlos und letztendlich sozial ihre Lebensweise ist. Doch die Art und Weise, in der Tae-suk und Sun-hwa gelebt haben, bedroht die Konventionen eines Systems, das die Idee des Besitzens in ihren Mittelpunkt gestellt hat. Um ihm gerecht zu werden müssten die Machthabenden ihr moralisches System überdenken, Klischees hinter sich lassen, Neues integrieren und sich Fehler eingestehen. So sehr diese daran scheitern, so sehr gelingt es dem Film auf meisterhafte Weise. Er changiert nahtlos zwischen verschiedensten Genre: Er ist Geistergeschichte, Thriller, Fantasy, Crime, Drama und Liebesgeschichte in einem.
Die Handlung ist zwar phantastisch, aber Kim Ki-duk filmt sie realistisch. Am Ende befindet man sich in einem schwebenden Zustand des Dazwischen, in dem Wundersamen natürlich und Unmögliches möglich ist. Und das bringt mich zurück zum Anfang: „Es lässt sich schwer feststellen, ob die Welt, in der wir Leben real oder ein Traum ist.“ Für mich ist dieser Satz gar keine Frage, sondern eine Beobachtung. Und Kim Ki-duk kommentiert sie folgendermaßen: Ja, das ist schwer. Aber wer sagt denn eigentlich, dass das Leben nur eines von beiden ist?
BIN JIP, SÜDKOREA, 2004
Produktionsgesellschaft : Kim Ki-Duk Film, Cineclick Asia, Happinet Pictures
Drehbuch: Ki-duk Kim
Produzent: Ki-duk Kim
Kamera: Seong-back Jang
Production Design: Chungsol Art
Schnitt: Jae-Min Han
DarstellerIn: Seung-Yun Lee, Hee Jae, Hyuk-ho Kwon
Drehbuch: Ki-duk Kim
Produzent: Ki-duk Kim
Kamera: Seong-back Jang
Production Design: Chungsol Art
Schnitt: Jae-Min Han
DarstellerIn: Seung-Yun Lee, Hee Jae, Hyuk-ho Kwon
35MM, Farbe, 88Min.
DVD, Bluray über Amazon gebraucht ab 3,99€ erhältlich.